Kurztrip: Abwechslungsreiche Kultur-Reise nach Stuttgart
Die „Autostadt“ bietet auch im Winter einige kulturelle Highlights
Da wir eine Einladung zu einer Premiere in der Oper Stuttgart erhalten haben, machen meine erwachsene Tochter und ich kurzerhand eine Wochenend-Reise in die baden-württembergische Hauptstadt. Darauf wären wir ohne Anlass normalerweise nicht gekommen. Über die Tourist Information suchen wir uns einige Sehenswürdigkeiten aus, die wir in den Tagen Samstag bis Montag besichtigen möchten. Trotz des ungünstigen Wetters ist unsere Reise alles in allem sehr gelungen. – Stuttgart, wir kommen wieder!
Tag 1: Kunsthalle, Sonne und ein ausgelassener Abend beim Italiener
Am ersten Tag besuchen wir das Kunstmuseum Stuttgart. Nicht zu verwechseln mit dem Landesmuseum Staatsgalerie in Stuttgart, das deutlich größer ist und eine umfangreichere Kunstsammlung bereithält. Wir gehen in die kleinere städtische Einrichtung, die ausschließlich Kunst nach 1900 zeigt.
Eigentlich haben wir Karten für eine Gruppenführung, entscheiden aber dann nach kurzer Zeit, das Museum auf eigene Faust zu besichtigen. Das Museum wurde von der Stadt 1924 gegründet und hat zwischenzeitlich immerhin 12.000 Objekte zusammengetragen, von denen ein kleiner Teil in der Dauerausstellung im sehr modernen Museumsgebäude im Herzen der Stadt zu sehen ist.
Wir sind ungefähr 1,5 Stunden in der Dauerausstellung, in dieser Zeit kann man die Bilder und Objekte in Ruhe anschauen. Besonders beeindrucken uns die Otto-Dix-Räume gleich zu Beginn, die verschiedenste Werke des Malers aus dem Besitz der Landesbank Baden-Württemberg zeigen. Bei der Gegenwartskunst gefällt uns besonders ein „Wachsraum“, der durch einen schmalen Gang zugänglich und deckenhoch mit Wachsplatten verkleidet war. Mit einem faszinierenden Licht und einem überwältigenden Duft nach Bienenwachs ist dieser Raum eine sehr eindrucksvolle Installation.
Die Dauerausstellung wird aus unserer Sicht allerdings in den Schatten gestellt von der gerade zu Ende gehenden Sonderausstellung im Kunstmuseum. Unter dem Titel „Jetzt oder nie“ hat dort die Landesbank Baden-Württemberg Einsicht in ihre Kunstschätze gewährt. Eine wirklich imposante Sammlung von Nachkriegs- bis moderner Kunst. Foto-Arbeiten, Installationen und Gemälde sind zu sehen, spannende Objekte und Bilder von Willi Baumeister, Günther Uecker, Oskar Schlemmer, Anselm Kiefer und vielen mehr. Wir sind sehr beeindruckt und bleiben ungeplant eine weitere kurzweilige Stunde im Museum.
Glücklicherweise ist das Wetter am Samstag recht gut und wir können bei Sonnenschein anschließend Stuttgart erkunden. Die Stadt hat fasziniert uns zwar sehr, aber gefällt uns nicht sonderlich gut: Durchzogen von breiten, mehrspurigen Straßen ist die sogenannte „Autostadt“ weder ein Fahrvergnügen im Auto, noch ein Vergnügen zu Fuß. Auch Fahrradwege sind eher eine Seltenheit. Insgesamt ist die gesamte Innenstadt nicht so angelegt, dass sie sich Gästen irgendwie erschließt. Wir jedenfalls haben jenseits der Einkaufsmeile wenig schöne Rundwege entdeckt.
Architektonisch ist Stuttgart ebenfalls für uns eher unverständlich: Es gibt unglaublich viel spannende Architektur aus den verschiedensten Jahrzehnten, aber nichts davon scheint zusammenzupassen und alles wirkt so, als wäre jedes Gebäude einzeln geplant, ohne auf die Nachbarschaft Rücksicht zu nehmen. Vielleicht fehlt uns nur der richtige Zugang, aber es will sich einfach von keiner Seite ein nettes Gesamtbild ergeben. (Und das, obwohl wir als Kölner in Sachen Stadtplanung nun wirklich nicht verwöhnt sind!)
Am Abend dann gehen wir in direkter Nähe zu unserem Hotel italienisch essen. Die Trattoria Santa Lucia ist ein Zufallstreffer: Essen und Service sind dort herausragend und der Laden war den ganzen Abend extrem gut besucht. Ein toller Abschluss für unseren ersten Tag in Stuttgart.
Tag 2: Bauhaus-Architektur, ein gesundes Essen im Hotel und eine bunte Opernpremiere
Übernachtet haben wir sehr zentral in einem recht neuen Hotel, dem EmiLu Design Hotel. Wir fühlen uns dort sehr wohl, die Zimmer sind ansprechend eingerichtet und es gibt eine tolle Hotel-Restauration, die Frühstück, Brote und Bowls bis 16 Uhr serviert. Anscheinend wieder ein kulinarischer Treffer, denn den ganzen Vormittag und Mittag über gibt es Warteschlangen vor dem Restaurant.
Das Frühstücksbuffet für die Hotelgäste ist nicht groß, aber sehr liebevoll zusammengestellt und vor allem: sehr gesund! Nuss-Nougat-Creme gibt es daher nur auf Nachfrage, aber das tut unserer Zufriedenheit keinen Abbruch.
Nach dem Frühstück fahren wir zur Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Wir nehmen an einer offenen Führung durch die Siedlung teil, bei der wir nur zu viert sind und unglaublich viele spannende Informationen erhalten.
Mit großem Interesse lauschen wir der Geschichte der Siedlung: Sie wurde im wahrsten Sinne des Wortes innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft, anlässlich einer Wohnausstellung im Jahre 1927. Während der Ausstellung entstehen 33 Häuser, die von 17 internationalen Architekten unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe gebaut werden. Unter den Beteiligten sind Architekturgrößen wie Walter Gropius, Hans Scharoun und Le Corbusier.
Leider wurden viele Gebäude im zweiten Weltkrieg zerstört, so dass von der Siedlung, die inzwischen zum Weltkulturerbe gehört, nicht mehr allzu viel übrig ist. Dennoch ist es total spannend zu sehen, welche grundlegenden architektonischen Konzepte 1927 in Stuttgart präsentiert wurden. Ob Flachdach, Rasterbauweise, Kücheninsel oder gemeinschaftliche Dachterrasse: Fast alles Gezeigte ist bis heute grundlegend für moderne Architektur.
Erschreckend ist allerdings der Zustand, in dem sich die Siedlung heute befindet. Risse im Putz, renovierungsbedürftige Fenster und Fassaden, viel zu viele parkende Autos vor den Gebäuden. Die Stadt Stuttgart scheint nur wenig Wert zu legen auf sein spektakuläres Weltkulturerbe. Oder es gibt andere Gründe, warum es weder schön präsentiert, noch gepflegt wird.
Im Anschluss an die Führung besuchen wir das Museum, das Corbusier-Haus direkt am Eingang zur Siedlung. Das als Doppelhaus angelegte Gebäude ist in seiner Innengestaltung an einen Eisenbahn-Waggon angelehnt. Corbusier schafft hier durch einschiebbare Betten und Schiebetüren eine große und luftige Wohnfläche für die Tagesnutzung. Die Besichtigung dieses Hauses ist eine spannende Zeitreise in die Moderne der 1920er Jahre.
Mit Beginn des Regens geht es zurück ins Hotel, wo wir im Restaurant sehr leckere und gesunde Brote mit Salat, Avocado, Lachs und Ei essen. Eigentlich war der Plan, danach wieder durch die Stadt zu bummeln, allerdings machen uns Starkregen und Sturm einen Strich durch die Rechnung. Also bleiben wir im Hotel und lesen, bis wir dann gegen 16 Uhr zur Premiere der Oper Hänsel und Gretel aufbrechen. Wie uns die Oper gefallen hat, lest Ihr hier.
Tag 3: Ein Büchertraum und zurück nach Hause
Am Abreisetag steht für uns nur noch ein Programmpunkt auf dem Plan: Die Stadtbibliothek Stuttgart. Nachdem ich Bilder dieser Bibliothek gesehen hatte, wollten wir dort unbedingt hin. Wir stehen um 11 Uhr am Montagvormittag vor dem imposanten Gebäude und verbringen dort ein paar traumhafte Stunden. Über acht Etagen finden sich in dem klar strukturierten, weiß gehaltenen und transparenten Gebäude Bücher über Bücher. Jede Etage hat ein anderes Thema, es gibt Romane in verschiedensten Sprachen, Biographien, Lyrik, Sachbücher aus allen Bereichen, Medien und Kunstdrucke. Die Auswahl ist riesig und das Angebot ist wunderschön präsentiert. Wir hätten den ganzen Tag dort verbringen können.
Besonders schön ist der Galeriesaal in den oberen vier Etagen, in denen man die Buchreihen komplett offen präsentiert bekommt. Hinter der Galerie verbergen sich eine Reihe von Arbeitsplätzen und weiteren Räumen, in denen jeweils thematisch sortierte Buchangebote zu finden sind. Wir setzen uns in die Galerie und lesen dort eine ganze Weile. Durch die Weitläufigkeit ist es sehr ruhig und man begegnet nur wenigen Menschen. Vielleicht liegt es auch daran, dass gerade für Touristen und sonstige Besucher nicht die richtige Reisezeit ist, jedenfalls sind wir fast die ganze Zeit für uns allein.
Gegen Mittag dann verlassen wir diesen traumhaften Büchertempel und machen uns auf den Heimweg. Wie gesagt: Stuttgart ist eine baulich sehr seltsame Stadt und nicht gerade anziehend in ihrem heterogenen Stadtbild. Aber eine Reise wert ist sie allemal.
Sabine Haas
Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".
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Gerne würde ich noch eine kleine Ergänzung abgeben:
Von den ursprünglich 33 Originalhäusern wurden in der Kriegs- und Nachkriegszeit zehn zerstört. Mit der denkmalgerechten Sanierung des Doppelhauses von Le Corbusier (2002-2005) wurde ein Standard gesetzt, der für alle Originalhäuser Gültigkeit haben muss. Zuletzt wurde das Haus von Ludwig Mies van der Rohe grundlegend saniert, bei den übrigen Häusern besteht allerdings z.T. erheblicher Erhaltungs- und Sanierungsbedarf, wie Sie richtig erkannt haben. Überwiegend präsentieren sie sich im Zustand der Renovierungsphase der 1980er Jahre.
Bis 2018 waren die Häuser der Weissenhofsiedlung im Besitz des Bundes, es wurde sich nicht gekümmert, aus den verschiedensten Gründen. Nun sind die Häuser im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SWSG, also quasi wieder in den Händen der Stadt Stuttgart.
Auf Drängen des Vereins Freunde der Weissenhofsiedlung wird nun endlich an einem Konzept zur Sanierung gearbeitet, welches bis spätestens dem 100-jährigen Jubiläum der Siedlung 2027 und gleichzeitig IBA-Jahr umgesetzt werden soll. Die Kosten sollen von der Wohnungsbaugesellschaft und der Stadt Stuttgart übernommen werden.
Vielleicht sieht es also bei Ihrem nächsten Besuch in Stuttgart in der Siedlung schon etwas anders aus 😉
Übrigens ist nicht die ganze Weissenhofsiedlung UNESCO Weltkulturerbe, sondern „nur“ die beiden Le Corbusier-Häuser, als Teil seines architektonischen Gesamtwerkes.
Es grüßt Sie herzlich vom Weissenhof
Michaela Jehle